Eine solche fand er im Verlauf des nächsten Tages noch nicht, sondern kehrte am Abend nochmals in seinen Albergo zurück und begab sich, von der ungewohnten italienischen Luft, der starken Sonnenwirkung, vielem Umherwandern und dem Strassenlärm ziemlich ermüdet, zur Ruhe. So fing auch schon das Bewusstsein bald an ihm zu verdämmern, doch grade im Einschlafen begriffen, ward er wieder aufgeweckt, denn sein Zimmer war durch eine nur durch einen Schrank verstellte Thür mit dem nebenan befindlichen verbunden, und in dieses traten zwei Gäste, die am Morgen davon Besitz genommen, ein. Nach ihren die dünne Scheidewand durchklingenden Stimmen ein männlicher und ein weiblicher, die unverkennbar der Classe der deutschen Frühlingsstrichvögel angehörten, mit denen er gestern von Florenz hierhergefahren war. Ihre Gemüthsstimmung schien der Hotelküche ein entschieden günstiges Zeugnis auszustellen, und der Güte eines castelli romani-Weines mochte es zu danken sein, dass sie ihre Gedanken und Empfindungen äusserst deutlich vernehmbar mit norddeutschen Zungen austauschten:
»Mein einziger August–«
»Meine süsse Grete –«
»Nun haben wir uns wieder.«
»Ja, endlich sind wir wieder allein.«
»Müssen wir morgen noch mehr ansehen?«
»Wir wollen beim Frühstück mal im Bädeker nachsehen, was noch nothwendig ist.«
»Mein einziger August, du gefällst mir viel besser als der Apoll von Belvedere.«
»Das hab' ich oft denken müssen, meine süsse Grete, du bist viel schöner als die capitolinische Venus.«
»Ist der feuerspeiende Berg, auf den wir hinaufwollen, hier nahebei?«
»Nein, da müssen wir, glaub' ich, noch ein paar Stunden mit der Eisenbahn fahren.«
»Wenn er dann grade anfinge zu speien und wir da mitten hineinkämen, was würdest du da thun?«
»Da würde ich gar keinen andern Gedanken haben, als wie ich dich retten sollte, und dich so auf die Arme nehmen.«
»Stich dich nur nicht an einer Stecknadel!«
»Ich kann mir ja nichts Schöneres denken, als mein Blut für dich zu vergiessen.«
»Mein einziger August –«
»Meine süsse Grete –«
Damit schloss vorderhand die Unterhaltung. Norbert hörte noch ein unbestimmtes Rascheln und Rücken von Stühlen, dann ward's still, und er verfiel in den Halbschlaf zurück. Der versetzte ihn nach Pompeji, wie eben der Vesuv wieder ausbrach; ein buntes Gewimmel von flüchtenden Menschen knäuelte sich um ihn herum, und darunter sah er auf einmal den Apoll von Belvedere, der die capitolinische Venus aufhob, forttrug und in einen dunklen Schatten gesichert auf einen Gegenstand hinlegte; ein Wagen oder Karren, mit dem sie fortgebracht werden sollte, schien's zu sein, denn ein knarrender Ton scholl davon her. Dieser mythologische Vorgang verwunderte den jungen Archäologen nicht weiter, nur fiel ihm als merkwürdig auf, dass die beiden nicht Griechisch, sondern Deutsch miteinander redeten, denn er hörte sie, dadurch zu halber Besinnung gelangend, nach einem Weilchen sagen:
»Meine süsse Grete –«
»Mein einziger August –«
Aber danach verwandelte sich das Traumbild um ihn herum vollständig. Lautlose Stille trat an die Stelle der verworrenen Töne, und statt des Rauches und Flammenscheines lag helles, heisses Sonnenlicht über den Trümmerresten der verschütteten Stadt. Die änderte sich ebenfalls allmählich um, ward zu einem Bett, auf dessen weissen Linnen Goldstrahlen sich bis an seine Augen heranringelten, und Norbert Hanold wachte, vom römischen Frühmorgen umfunkelt, auf.
Auch in ihm selbst war indess etwas anders geworden, wodurch, wusste er sich nicht anzugeben, doch hatte sich seiner abermals ein sonderbar beklemmendes Gefühl bemächtigt, dass er in einem Käfig eingesperrt sei, der diesmal Rom heisse. Wie er das Fenster öffnete, kreischten ihm von der Strasse her die dutzendfachen Ausrufe der Verkäufer noch weit schrilltöniger im Ohr als in seiner deutschen Heimat; er war nur aus einer lärmvollen Steingrube in die andre gerathen, und ihn schreckte ein wunderlich unheimliches Grauen vor den Alterthumssammlungen, einer dortigen Begegnung mit dem Apoll von Belvedere und der capitolinischen Venus zurück. So stand er nach kurzem Besinnen von seinem Vorhaben, sich eine Wohnung zu suchen, ab, packte eilfertig seinen Koffer wieder und fuhr auf der Eisenbahn weiter nach Süden. Dies that er, um den Inseparables zu entgehen, in einem Wagen dritter Classe, zugleich in diesem eine interessante und ihm wissenschaftlich förderliche Umgebung von italienischen Volkstypen, den ehemaligen Modellen der antiken Kunstwerke, erwartend. Doch er fand nichts als landesüblichen Schmutz, entsetzlich riechende Monopol-Cigarren, kleine, windschiefe, mit Armen und Beinen fuchtelnde Kerle und Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes, gegen die ihm seine zwiegepaarten Landsmänninnen in der Erinnerung fast noch als olympische Göttinnen erschienen.

Zwei Tage später bewohnte Norbert Hanold einen ziemlich fragwürdigen, camera benannten Raum im ›Hotel Diomède‹ neben dem von Eucalyptusbäumen bewachten ›ingresso‹ zu den Ausgrabungen von Pompeji. Er hatte beabsichtigt, dauernd in Neapel zu bleiben, um die Sculpturen und Wandgemälde im Museo Nazionale eingehend wieder zu studiren, doch es war ihm dort ähnlich ergangen wie in Rom.

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