Ein Nachdenken darüber konnte drum auch nichts nützen;
die unbestimmte Gefühlserregung kam aus der linden Frühlingsluft,
den Sonnenstrahlen, der Weite mit ihrem Duftanhauch und gestaltete ihm
einen Vergleich herauf, er sitze hier eigentlich ebenfalls in einem Käfig
hinter Gitterstäben. Doch gesellte sich dem sofort beschwichtigend
hinzu, seine Lage sei ungleich vortheilhafter als die des Canarienvogels,
denn er habe Flügel im Besitz, die durch nichts am beliebigen Ausfliegen
ins Freie behindert wurden. Nicht allzuviele machen an sich selbst die Erfahrung, dass es
sehr schön ist, jung, vermöglich und unabhängig im Frühling
aus deutschen Landen nach Italien zu ziehen, denn selbst die mit jenen
drei Eigenschaften Ausgerüsteten sind solcher Schönheitsempfindung
nicht allmal zugänglich. Besonders wenn sie, und leider die Mehrzahl
ausmachend, sich in den einer Hochzeit nachfolgenden Tagen und Wochen
zu zweien befinden, nichts ohne ein ausserordentliches, sich durch zahlreiche
Superlative kundgebendes Entzücken an ihren Augen vorübergleiten
lassen und schliesslich nur das nämliche als Ausbeute mit nach Hause
zurückbringen, was sie beim Dortverbleiben ganz ebenso entdeckt,
empfunden und genossen hätten. In umgekehrter Richtung wie die Zugvögel
pflegen solche Dualisten im Frühling die Alpenpässe zu überschwärmen.
Norbert Hanold ward während der ganzen Fahrt von ihnen wie in einem
rollenden Taubenschlag umflügelt und umflötet und eigentlich
zum erstenmal im Leben in die Zwangslage versetzt, seine ihn umgebenden
Mitmenschen mit Auge und Ohr genauer in sich aufzunehmen. Obwohl sie nach
ihrer Sprache sämtlich deutsche Landsleute waren, rief seine Stammeszugehörigkeit
zu ihnen durchaus kein Stolzgefühl in ihm wach, vielmehr nur das
ziemlich entgegengesetzte, er habe vernunftgemäss wohl daran gethan,
sich bisher mit dem lebendigen ›Homo sapiens‹ der Linnéschen
Classifizierung möglichst wenig zu befassen. Hauptsächlich in
bezug auf die weibliche Hälfte dieser Gattung; zum erstenmal auch
sah er derartig vom Paarungstrieb Zusammengesellte in seiner nächsten
Nähe, ausserstande zu begreifen, was sie gegenseitig dazu veranlasst
haben könne. Ihm blieb unverständlich, warum die Frauen sich
diese Männer ausgewählt hätten, noch räthselhafter
aber, weshalb die Wahl der Männer auf diese Frauen gefallen sei.
Bei jeder Kopfaufhebung musste sein Blick auf das Gesicht einer von ihnen
gerathen und traf auf keines, das die Augen durch eine äussere Wohlbildung
einnahm oder innerlich auf einen geistigen und gemüthlichen Inhalt
hinwies. Allerdings fehlte ihm ein Massstab, um sie daran zu bemessen,
denn mit der erhabenen Schönheit der alten Kunstwerke durfte man
das heutige weibliche Geschlecht natürlich nicht in Vergleich bringen,
doch trug er eine dunkle Empfindung in sich, dass er sich dieses ungerechten
Verfahrens nicht schuldig mache, sondern in allen Zügen etwas vermisse,
zu dessen Darbietung auch das gewöhnliche Leben verpflichtet sei.
So dachte er manche Stunden hindurch über das sonderbare Treiben
der Menschen nach und kam zu dem Ergebnis, unter allen ihren Thorheiten
nehme jedenfalls das Heirathen, als die grösste und unbegreiflichste,
den obersten Rang ein, und ihre sinnlosen Hochzeitsreisen nach Italien
setzten gewissermassen dieser Narrethei die Krone auf. |